Imst - Es beginnt mit dem Anfang. Der überwiegend männliche
Rolling Stones-Fan besteigt in Wien den Sonderzug nach Imst.
Es ist neun Uhr morgens. Der exemplarische Rolling Stones-Fan
nimmt jetzt ein erstes Bier zur Stärkung. Keith Richards mag
nämlich nüchterne Menschen nicht besonders. Kein Problem,
das wird sich während der nächsten sieben Stunden Bahnfahrt
schon noch ausgehen. Rülps. Pardon my French !
Der Zug fährt ab. Er heißt Action Train. Später wird er
entlang der Westbahnstrecke noch viele andere Rolling Stones-Fans
aufsammeln. Auch diese haben sich schon gestärkt. Sie entern mit
wehenden Fahnen und klingendem Spiel. Nein, die
Fahnen sind nicht aus Stoff gemacht.
An Bord gibt es dann aber für den fakultativ vorgezogenen
Nachdurst neben einer eher leeren Kracherlbar ("Cola bis
zum Umfallen!") auch noch den Bier-Disco-Waggon. Ein
Discjockey legt dort, na, genau, Platten von den Rolling
Stones auf. Es gibt auch dort Gratisgetränke. Alle haben ein
zunehmend gutes Gefühl. Das gute Gefühl hält sich bis Imst.
Jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren - außer, daß es aus
Kübeln zu schütten beginnt. Es beginnt aus Kübeln zu schütten.
Der Imster Talkessel, in dem hier die Bühne der Rolling Stones
aufgebaut wurde, beginnt sich mit Schlamm zu füllen. Das hat sich
niemand erwarten können, daß es gleich so lustig werden wird.
Mit dem Rest des warmen Hopfenwassers aus dem Zug
verköstigt der Rolling Stones-Fan nun am Wegesrand zum Open-air-
Gelände stehende Tiroler Kühe. Die Kühe trinken das Bier
tatsächlich. Auch sie sollen es heute fein haben. Der Rolling
Stones-Fan ist übrigens ein rechter Hallodri und Tunichtgut.
50.000 davon werden gleich das Areal füllen. Es gibt dann aber
zumindest neues Bier auf dem Gelände. Toiletten weniger.
Schlamm schon.
Der Himmel weint
Der italienische Bluesrokker Zucchero singt im Vorprogramm.
daß er unter anderem wegen dieser Umstände sofort gesegnet
werden will. Es passiert vorerst nichts. Dann kommt der
kanadische Schmuserocker Bryan Adams auf die Bühne: "This was
the summer of '69, it was the best year of our lifes." Hat es
vorher aus Kübeln geschüttet, so beginnt der Himmel jetzt ange-
sichts solch eines wunschlosen Unglücks zu Weinen. Heftig.
Cry me a river!
1969 liegt 30 Jahre zuruck. Dazwischen liegen bei Adams
eine Weltkarriere mit kehlig-heiseren Schmonzetten wie
Everything I Do (I Do It For You), diverse Betthupferl mit
Fotomodels und die Überreichung einer Goldenen Schallplatte durch
Bundeskanzler Viktor Klima für 25.000 verkaufte Stück seines
neuen Albums, na, Dings, im Imster SOS-Kinderdorf. Und da
soll es damals daheim in der Garage in Kanada mit einer
Schülerband besser gewesen sein?! Geh, bitte!
Dann aber geht es ans Eingemachte. Meine Damen und
Herren, liebe Menschen, die Ihr jetzt um zehn Uhr abends noch
stehen könnt und wollt: die härteste Rockband der Welt,
The Rolling Stones !
Diese machen es sich nach all den 30 und einer Handvoll Jahren
im Geschäft noch immer gern schwer. Sie starten mit Jumpin'
Jack Flash. Was bei ihnen gewöhnlich schiefgeht, weil
Schlagzeuger Charlie Watts traditionell seine Kollegen
insofern aus dem Konzept bringt, als er einen Viervierteltakt nie zur
Gänze in die Trommeln wuchtet. Der alte Jazz-Beatle! Diesmal
geht es allerdings gut. Die Rolling Stones werden doch nicht nach all
den Jahren teilweise durchaus leidvoller Live-Erfahrungen
plötzlich das Spielen erlernt haben?!
Doch, doch, das klappt heute alles für ihre bescheidenen Verhältnisse ganz
prächtig. Selbst wenn sie den Einstieg zu Start Me Up aber so
etwas von in den Schlamm setzen, selbst wenn Gimme Shelter
derart zerstückelt wird, daß selbst ein Bob Dylan mit der
gnadenlosen Dekonstruktion seines eigenen Werks dagegen arm aussieht.
Songs wie Out Of Control und Paint It Black oder angesichts der
anstehenden Scheidung von Mick Jagger aktuell ins Programm
genommene Titel wie Respectable("Get out of my life, don't come back!") oder
Some Girls ("Some girls give me children ...") rocken heute so, wie
es fast sein soll. Und eine präzise, zwingende Sympathy For The
Devil, ein zügelloser Midnight Rambler und vor allem der live
selten gehörte Ruby Tuesday, die haben schon etwas.
Über die anschließenden Erlebnisse am Imster Bahnhof um
drei Uhr nachts, warum vor allem Tiroler nicht so viel trinken
sollten und warum der Zug am Morgen in Wien nach 27 Stunden
Feindfahrt aussah, wie er aussah ... Nein, lassen wir das.