Der Standard, Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Juni 1999

Es geht eine Träne auf Reisen

Die "Rolling Stones" gastierten im tirolischen Imst

Christian Schachinger

 

 

Imst - Es beginnt mit dem Anfang. Der überwiegend männliche

Rolling Stones-Fan besteigt in Wien den Sonderzug nach Imst.

Es ist neun Uhr morgens. Der exemplarische Rolling Stones-Fan

nimmt jetzt ein erstes Bier zur Stärkung. Keith Richards mag

nämlich nüchterne Menschen nicht besonders. Kein Problem,

das wird sich während der nächsten sieben Stunden Bahnfahrt

schon noch ausgehen. Rülps. Pardon my French !


 

Der Zug fährt ab. Er heißt Action Train. Später wird er

entlang der Westbahnstrecke noch viele andere Rolling Stones-Fans

aufsammeln. Auch diese haben sich schon gestärkt. Sie entern mit

wehenden Fahnen und klingendem Spiel. Nein, die

Fahnen sind nicht aus Stoff gemacht.


An Bord gibt es dann aber für den fakultativ vorgezogenen

Nachdurst neben einer eher leeren Kracherlbar ("Cola bis

zum Umfallen!") auch noch den Bier-Disco-Waggon. Ein

Discjockey legt dort, na, genau, Platten von den Rolling

Stones auf. Es gibt auch dort Gratisgetränke. Alle haben ein

zunehmend gutes Gefühl. Das gute Gefühl hält sich bis Imst.

Jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren - außer, daß es aus

Kübeln zu schütten beginnt. Es beginnt aus Kübeln zu schütten.

Der Imster Talkessel, in dem hier die Bühne der Rolling Stones

aufgebaut wurde, beginnt sich mit Schlamm zu füllen. Das hat sich

niemand erwarten können, daß es gleich so lustig werden wird.


Mit dem Rest des warmen Hopfenwassers aus dem Zug

verköstigt der Rolling Stones-Fan nun am Wegesrand zum Open-air-

Gelände stehende Tiroler Kühe. Die Kühe trinken das Bier

tatsächlich. Auch sie sollen es heute fein haben. Der Rolling

Stones-Fan ist übrigens ein rechter Hallodri und Tunichtgut.

50.000 davon werden gleich das Areal füllen. Es gibt dann aber

zumindest neues Bier auf dem Gelände. Toiletten weniger.

Schlamm schon.


Der Himmel weint


Der italienische Bluesrokker Zucchero singt im Vorprogramm.

daß er unter anderem wegen dieser Umstände sofort gesegnet

werden will. Es passiert vorerst nichts. Dann kommt der

kanadische Schmuserocker Bryan Adams auf die Bühne: "This was

the summer of '69, it was the best year of our lifes." Hat es

vorher aus Kübeln geschüttet, so beginnt der Himmel jetzt ange-

sichts solch eines wunschlosen Unglücks zu Weinen. Heftig.

Cry me a river!


1969 liegt 30 Jahre zuruck. Dazwischen liegen bei Adams

eine Weltkarriere mit kehlig-heiseren Schmonzetten wie

Everything I Do (I Do It For You), diverse Betthupferl mit

Fotomodels und die Überreichung einer Goldenen Schallplatte durch

Bundeskanzler Viktor Klima für 25.000 verkaufte Stück seines

neuen Albums, na, Dings, im Imster SOS-Kinderdorf. Und da

soll es damals daheim in der Garage in Kanada mit einer

Schülerband besser gewesen sein?! Geh, bitte!


Dann aber geht es ans Eingemachte. Meine Damen und

Herren, liebe Menschen, die Ihr jetzt um zehn Uhr abends noch

stehen könnt und wollt: die härteste Rockband der Welt,

The Rolling Stones !


Diese machen es sich nach all den 30 und einer Handvoll Jahren

im Geschäft noch immer gern schwer. Sie starten mit Jumpin'

Jack Flash. Was bei ihnen gewöhnlich schiefgeht, weil

Schlagzeuger Charlie Watts traditionell seine Kollegen

insofern aus dem Konzept bringt, als er einen Viervierteltakt nie zur

Gänze in die Trommeln wuchtet. Der alte Jazz-Beatle! Diesmal

geht es allerdings gut. Die Rolling Stones werden doch nicht nach all

den Jahren teilweise durchaus leidvoller Live-Erfahrungen

plötzlich das Spielen erlernt haben?!


Doch, doch, das klappt heute alles für ihre bescheidenen Verhältnisse ganz

prächtig. Selbst wenn sie den Einstieg zu Start Me Up aber so

etwas von in den Schlamm setzen, selbst wenn Gimme Shelter

derart zerstückelt wird, daß selbst ein Bob Dylan mit der

gnadenlosen Dekonstruktion seines eigenen Werks dagegen arm aussieht.


Songs wie Out Of Control und Paint It Black oder angesichts der

anstehenden Scheidung von Mick Jagger aktuell ins Programm

genommene Titel wie Respectable("Get out of my life, don't come back!") oder

Some Girls ("Some girls give me children ...") rocken heute so, wie

es fast sein soll. Und eine präzise, zwingende Sympathy For The

Devil, ein zügelloser Midnight Rambler und vor allem der live

selten gehörte Ruby Tuesday, die haben schon etwas.


Über die anschließenden Erlebnisse am Imster Bahnhof um

drei Uhr nachts, warum vor allem Tiroler nicht so viel trinken

sollten und warum der Zug am Morgen in Wien nach 27 Stunden

Feindfahrt aussah, wie er aussah ... Nein, lassen wir das.



Bildkommentar: Mick Jagger und Keith Richards spielten am Montag
in Imst vor 50.000 Fans das Programm zu Jaggers anstehender
Scheidung: "Get out of my life, don't come back !"